November-Wetter im Februar. Es ist Orkan angekündigt und er tobte dann auch mit bis zu 140 km/h in Hamburg. An einen netten Spaziergang um die Halle war nicht zu denken, so ließ ich mich mit meiner Frau schon sehr früh im Eingangsbereich der Halle nieder und lauschte den Sturmgeräuschen, die den Soundcheck durch die geschlossenen Türen übertönten.
Die fast ausverkaufte Laeiszhalle (Musikhalle) in Hamburg ist eine ehrwürdige stuckgeschmückte Halle mit zwei Rundum-Balkonen (Rängen), einer riesigen Saalorgel (Kirchenorgel) und richtig alten plüschigen Klappsitzen (sehr bequem). Der Nachteil ist allerdings, dass die Bühne sehr hoch ist und die Sitzreihen kaum ansteigen. Ich saß in der zweiten Reihe – direkt vor dem Meister, konnte allerdings die Leute hinter dem Flügel (z. B. den Schlagzeuger) nicht sehen. Dieses Manko wurde aber durch die tolle Atmosphäre und den guten Sound wettgemacht. Lediglich wenn die Band im Mittelpunkt stand waren die Geiger und die Flöte etwas leise. Am wichtigsten war für mich natürlich Jon. Ihm konnte ich am Flügel und an der Hammond direkt auf die Finger schauen. An der Hammond stand er mit dem Rücken zum Publikum.
Zu den Ansagen kam er an den Bühnenrand und spazierte dabei meist von
links nach rechts.
Viel Platz war ja auch auf der Bühne nicht mehr.
Die Halle war fast ausverkauft, obwohl am gleichen Tag auch Crosby & Nash
im Hamburger CCH spielten und Ron Dyke (Ashton, Gardner & Dyke) mit vielen
illustren Gästen seinen 60sten Geburtstag in Hamburg zelebrierte.
Folgende Besetzung wurde geboten:
Jon Lord – Piano, Flügel
Mario Argandona – Percussion, Hintergrundgesang
Paul Shigihara – Gitarren
Matthias Krauss – Keyboards
Bert Smaak – Drums
Urs Fuchs – Bass
Susanne Heitmann – Flöte, Klarinette
Sabine van Braaren – Gesang, Hintergrundgesang, Percussion
Miller Anderson – Gesang, Hintergrundgesang, Akustische Gitarre, Mundharmonika
sowie
das kleine Stuttgarter Streichorchester „German Pop Soloists“ bestehend
aus 9 jungen Damen und einem Cellisten.
Folgende Songs wurden gespielt (ich hoffe die Reihenfolge stimmt):
Sunrise / Pictured Within (Vocals: Miller Anderson)
Sarabande
One From The Meadow (Vocals: Sabine van Braaren)
De Profundis
Pavane
Gigue
Pause
A Smile When I Shook His Hands / Here Comes The Sun
Cologne Again
I'll Send You A Postcard
Unsquare Dance
November Calls (Vocals: Miller Anderson)
The Telemann Experiment
Zugaben:
Fog On The Highway (Vocals: Miller Anderson & Sabine van Braaren)
Bourée
Guten Abend, Gut’ Nacht (nur Jon am Piano)
Jon war sehr gut drauf. Wesentlich lockerer als auf der DVD. Am Flügel wiegte er sich teilweise im Takt. An der Hammond kam er richtig in Fahrt und hat einige wirklich tolle Solos hingelegt. Seine Noten hat er immer von einem Instrument zum anderen gebracht! Seine Ansagen waren äußerst witzig und sympathisch. Es waren ganz andere Ansagen als in Köln (DVD) und Jon war wesentlich weniger nervös.
Und anderem hat er erzählt, dass er auf einem Ohr kaum noch etwas hören kann. Daran sei Glenn Hughes Schuld. Er hat ja als junger Mann mit Glenn Hughes zusammen gespielt und dieser hat den Funk-Bass einfach zu funkig „geslapped“. (Seine Schwerhörigkeit liegt also nicht am Hardrock, sondern am Funk…).
Irgendwann hat er gefragt, ob „Jan Fedder“, der Hamburger Schauspieler,
anwesend sei. Nach dem von hinten ein kräftiges Hamburger „Joo“ zu
hören war, bemerkte Jon, dass er „The Telemann Experiment“ extra
für ihn als nachträgliches Geburtstagsgeschenk spielt.
Ehrlich gesagt, habe ich nach einem Zeitungsartikel in der Hamburger Morgenpost
auf „April“ gehofft, da dieser Song an dem Abend sicherlich richtig
gut ‚ ’rübergekommen wäre. Millers Stimme hätte
dazu super gepasst.
Weiterhin spielte Jon öfters auf sein Alter an: So hat er „Sarabande“ 1975
eingespielt, als er 5 Jahre alt war. Ausführlich hat er vor „De
Profundis“ über die Emotionen beim Weggang von Deep Purple berichtet.
Er meint, dass DP wohl spielen so lange spielen werden, solange sie gehen können:
Dann hat er einen alten Mann mit Krückstock gespielt, schlurfte über
die Bühne und krächzte „Smoke On the Water“… … Göttlich!
Schließlich meinte er aber verschmitzt, dass dieses keine Comedy-Show
sei, sondern ein Music Event!
Miller hat darauf hingewiesen, dass Bert Smaak just am Konzerttag Geburtstag hatte und Jon spielte „Happy Birthday“ auf dem Klavier. Darauf gab es dann noch ein dreifaches „Hipp Hipp Hooray“ für Smaak.
Alle Scherze kann ich hier leider nicht wiedergeben…
Miller Anderson hat mir sehr gut gefallen. Ich habe ihn ja schon oft mit Pete York und Colin Hodgkinson etc. gesehen. Auch schon mit Jon Lord und Tony Ashton beim Rock And Blues Circus vor Jahren. Eigentlich ein begnadeter Bluesgitarrist, aber auch ein toller Sänger. Beim Einstimmen von „Pictured Within“ läuft mir immer ein Schauer den Rücken herunter, so auch dieses Mal. „Fog On The Highway“ ist ein Solo-Song von seiner empfehlenswerten CD „Celtic Moon“. Die Geigen spielten hier nicht mit, aber jeder (auch Jon an der Hammond) hatte sein Solo. Sabine durfte eine Strophe singen, was Ihr viel besser stand als „One For The Meadow“. Miller spielte hier akustische Gitarre und Mundharmonika, das Gitarrensolo überließ er Paul.
Sabine van Braaren sang bei „Fog On The Highway“ super. „One For The Meadow“ sang sie allerdings etwas schwächer als Sam Brown, vor allen Dingen in den Höhen. Wobei es auch nicht unbedingt der richtige Song für Sam ist – beiden stehen härtere Songs wesentlich besser.
Paul Shigihara spielte noch viel besser als in Köln, die Nervosität und Vorsichtigkeit ist der Improvisation gewichen. Wirklich super.
Mario und Bert haben einfach nur geglänzt. Bert ist ein würdiger Ersatz für Pete York mit einem sehr eigenen, treibenden Stil.
Das kleine Streichorchester, bestehend aus neun jungen Frauen und einem Cellisten,
hat toll gespielt. Die Spielfreude war den Musikerinnen anzusehen. Es wurde
viel gelächelt. Bei Bourée spielten sie teilweise im Stehen. Nur
der Cellist hat optisch sehr gelangweilt ausgesehen – es war anscheinend
nicht seine Musik. Vor allen Dingen die erste Geigerin und die Cellistin (Konzertmeisterin?)
brillierten und haben um die Wette gelacht! Obwohl das Orchester nur halb so
groß war wie in Köln, wirkte die Musik keineswegs leer. Im Gegenteil
die „Sarabande“ Stücke waren viel härter und treibender
gespielt als auf der DVD – einfach bombastisch, teilweise sogar furios!
Zu einigen Songs:
„De Profundis“ war schon wegen dem Intro interessant. Denn er hat den Anfang von „And The Adress“ (Wirklich!!!!) auf der Hammond gespielt! Genau wie auf der „Shades“ – irre! …und absolut passend!
„Unsquare Dance“ von Dave Brubeck, das man ja schon von der Köln DVD kennt, überzeugte im 7/4-Takt durch gelungene Soloeinlagen.
„Pavane“ (der „Sarabande“ Song, nicht der ”Before I Forget” bonus track) bot starke Improvisationen von Jon an der Hammond und Paul Shigihara, während in „Gigue” Bert Smaak und Mario Argandona ihre Soloparts hatten.
„A Smile When I Shook His Hand“ wurde nicht nur George Harrison,
sondern auch dem kürzlich verstorbenen “Traffic- Drummer“ Jim
Capaldi” gewidmet. Beides waren enge Freunde von Jon. Jon erzählte,
wie er George Harrison bei den Aufnahmesessions zu „First Of The Big
Bands“ kennengelernt hat.
Am Ende des Songs wurde wie auch auf der DVD „Here Comes The Sun“ gespielt.
„Cologne Again“ hätte nach Jons Aussagen auch gerne „Hamburg Again“ heißen können, weil er hier so gern spielt. In der Musikhalle hätte er wohl schon in der Anfangszeit von Deep Purple gespielt und erinnert sich gut daran?!?
Bei den Ansagen zu „I’ll Send You A Postcard“ erinnerte er an seinen Freund Tony Ashton und imitierte ihn auch teilweise. Hier hat er einiges vom Stapel gelassen, das ich aber nicht ganz verstanden habe… Aber es ging um Bier und Kölsch.
„The Telemann Experiment“ war hier ohne Schlüsselharfe gespielt. Deren Part übernahmen Paul Shigihara und die Flötistin – daher eine völlig andere Version – jetzt hätte der Song eigentlich auf die „Sarabande“ gepasst! Mir hat es gefallen!
„Bourée“ war ähnlich gespielt wie in Köln, etwas kürzer als auf der LP – ohne Gitarren- und Keyboardsolo, dafür mit Hochgeschwindigkeits-Schluss, bei dem die Geigerinnen im Stehen spielten. Das Original gefällt mir zwar besser, aber auch diese Version hat seine Reize. Sie ist eben völlig anders. Jon rätselt übrigens heute noch, warum es in Siebzigern und Achziger Jahren des letzten Jahrhunderts „der“ Party-Dance-Song gewesen ist, er ist aber auch sehr stolz darauf.
Ganz zum Schluss kam Jon noch einmal auf die Bühne und stimmte am Flügel „Guten Abend, gut’ Nacht“ an. Ein schöner Ausklang für einen gelungenen Abend.
Das Konzert war rundum gelungen – ein tolles Erlebnis. Etwas hat mir Sam Brown gefehlt, obwohl Sabine wirklich gut gesungen hat. Frida hingegen fehlte mir nicht. Auch empfinde ich „The Sun Will Shine Again“ als einen schwächeren Song.
Das Konzert war insgesamt härter und bombastischer als auf der DVD. Etwas schade fand ich, dass nach der Pause gleich mehrere ruhige Stücke kamen, da hätte ich mir doch ein flottes Stück dazwischen gewünscht.
Einige Wünsche hätte ich jedoch für spätere Konzerte: „April“, „Anthem“, „Caprice“, „Say It’s Allright“ von Sam gesungen und „Where Are You“ von Miller! Überhaupt fehlte mir etwas von der „Before I Forget“. Wie sagte Jon doch in St. Wendel? Das unbekannteste Album aller Zeiten – zu unrecht!
Karl-Heinz Baier
see the blind man shooting at the world...
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