InFinite - Revue en Miniature

      InFinite - Revue en Miniature

      Jetzt, nach dreimaligem Hören, wage auch ich mal ein kleines Review, vorläufig, aber kann es zu diesem Album überhaupt ein 'endgültiges' Review geben? "Panta rhei" möchte man da mit dem guten alten Heraklit ausrufen - alles fließt, so natürlich auch das Urteil über das hier zu besprechende Album nach jedem weiteren Hören.

      Keiner der Musiker, die hier am Werke sind, muss noch beweisen, dass er sein Instrument auf absolutem Spitzenniveau beherrscht. Wenn ein Herz schlägt, ohne mit anderen Organen im Zusammenhang zu stehen, dann kann es noch so gesund sein, irgendwie schlägt es nutzlos. Erst wenn es diese Funktion innerhalb eines organischen Ganzen ausübt, macht es Sinn. Vergleiche hinken, so auch hier, denn selbstverständlich gibt es unzählige Musiker, die gerade durch ihre solistischen Leistungen berühmt geworden sind. Aber gerade für "InFinite" sticht ins Ohr, dass es hier um die musikalische Gesamtleistung einer Band geht. Hier werden die ausgeprägten individuellen Fähigkeiten so zusammengeführt, dass wirklich etwas großartiges Ganzes entsteht. Wenn das auf Bob Ezrin zurückzuführen ist - und der Film "From here to InFinite" legt das nahe - dann muss er fortan zu den ganz Großen dieses Gewerbes gezählt werden. Denn dieses Album wird geprägt von einer musikalischen Dichte, die ich bei Deep Purple vorher noch nie erlebt habe.

      Jeder einzelne Musiker trägt zu dieser Dichte bei. Kein Wunder bei Roger Glover. Er war schon immer ein Bandmusiker par Excellence. Ihm muss das, was bei der Entstehung geschah, besonders gut gefallen haben. Kein Wunder also, dass er seinen Part in der Rhythmus-Abteilung vorzüglich spielt. Man kann eben auch glänzen, ohne sich durch solistische Ausflüge zu profilieren. Ian Paice übernimmt noch einmal einen glänzenden Part, der deutlich über die Aufgaben des Rhythmus-Musikers hinausgeht. Das wird vor allem bei den Songs deutlich, in denen Deep Purple auf ihre psychedelischen Wurzeln zurückgehen. Das, was bei den "Moody Blues" oder bei "Pink Floyd" manchmal ein wenig düster herüberkommt, fängt bei DP an zu fliegen. Warum? Weil Paicey diese Songs durch seinen unnachahmlichen Swing schlicht abheben lässt. Wir erleben quasi noch einmal einen neuen Steve Morse. Wenn ich überhaupt mal eine leise Kritik an ihn hatte, dann die, dass er in einigen Stücken ein wenig neben der Band spielte. Davon kann bei "inFinite" aber überhaupt nicht die Rede sein. Steve ordnet sich ganz und gar dem Gesamtkonzept unter. Seine Parts verschönern die Songs, in die sie ungemein fein und gefühlvoll - ja, gefühlvoll! - eingewoben sind. Quantitativ präsenter ist Don Airey. Was mir besonders gut gefällt, ist, dass er seinen Moog öfter als sonst einfach in der Ecke stehen lässt und häufiger die traditionellen Töne von Hammond und Piano hervorzaubert - auch dies ein schöner Beitrag zur "Back to the Roots"-Philosophie. Bleibt Ian Gillan. Ich habe es schon immer als eine Gnade empfunden, Zeitgenosse dieses Künstlers zu sein, in der Zeit zu leben, in der auch er lebt - und singt. Ja, er singt, immer. Man höre also auf, ihn, wie bei Rock-Sängern üblich, als "Shouter" abzuheften. Ian schreit nie, denn Schreien heißt, in dem Moment keine Kontrolle mehr über seine Stimme zu haben. Mag er laut singen, mag er in hoher Stimmlage singen: Immer hat Ians Stimme dieses völlig individuelle Vibrato, ein Timbre, das ihn unverwechselbar macht. Mag ich in der Nähe von Hamburg sein und Ian 20000 km davon entfernt: Wenn er anfängt zu singen, dann höre ich ihn sofort - und sei noch so viel Lärm zwischen uns. Dass er seine Stimme auch mit 71 auf "inFinite" noch so effekt- und kraftvoll einzusetzen versteht, nötigt mir jede Bewunderung ab.

      Kommen wir zu den Songs.
      "Time for Bedlam" überrascht mit einem Intro und Outro im Stile einer Mischung aus Psychedelic und Gothic-Rock. Der melodische Hauptteil zeichnet sich durch typisches DP-Tempo und einen feinen, von Don Airey gelegten Klangteppich aus.

      Es folgt der für DP typische knackige Rock'n'Roller "Hip Boots". Die Rhythmus Abteilung verleiht diesem Song Tempo und Härte, wie es nur diese Band kann. Für Ian Gillan ein Heimspiel, in dem er mal wieder beweisen kann, dass er seinem Vorbild Elvis Presley auf dessen eigenem Terrain durchaus das Wasser reichen kann. Gitarre und Hammond duellieren sich sehr songdienlich.

      "All I got is You" hat beste Chancen, zum Ohrwurm des Albums zu avancieren. Die Grundmelodie macht Anleihen in der britischen Folkloretradition, die psychedelische Ausformung könnte das Ganze düster erscheinen lassen, aber in Wirklichkeit schwebt der Song. Warum? Weil Ian Paice ihm mit seinem fantastischen Swing-Schlagzeug regelrecht Flügel verleiht. Wunderbar melodisch auch die Einschübe von Gitarre und Keyboards.

      "One Night in Vegas" ist ein bluesig angehauchter Rocksong, der auch von Jon Lords "Hoochie Goochie Men" hätte gespielt werden können. Roger und Paicey leisten vorzügliche Rhythmus-Arbeit, Don bearbeitet passend das Piano, um sich dann ein schönes Hammond-Gitarrenduell mit Steve zu liefern. Wenn Blues mit im Spiel ist, hieße es, Eulen nach Athen zu tragen, wenn man Ian Gillans Gesangsleistung noch einmal besonders herausstellt, denn der Blues ist Ians leiblicher Bruder.

      Bei "Get me outta here" haben wir es mit einem sonst selten anzutreffenden Ausflug in Heavy-Regionen zu tun. Damit das aber nicht zu sehr am Boden kleben bleibt, dafür sorgt wieder einmal Paicey, dessen Swing diesem Song das Laufen lehrt. Zudem lebt der Song von Ians superber Stimme und tollen Orgel-Gitarren-Dialogen.

      Wir leben in einer Demokratie - und das ist auch gut so. Deshalb dürft ihr alle anderer Meinung sein als ich, aber ich bekenne: Für mich ist "The Surprising" das Opus Magnum dieses Albums. Dieser Song bildet die Quintessenz des gesamten Albums. Die musikalische Dichte und Vielfalt ist unermesslich. Die Melodie wird von britischen und orientalischen Klängen regelrecht umgarnt. Grandios das Keyboard-Spiel von Don, der mich hier an den unvergessenen Keith Emerson denken lässt (eher an dessen Nice-Zeit). Auch Steve Morse macht eine glänzende Figur, zu Anfang ein wenig an Marc Knopfler erinnernd. Im weiteren Verlauf lassen sich auch Anklänge an "She said" (Barcley James Harvest) und an "Song for all Seasons" und "Can you hear me?" (Renaissance) erkennen. Einfach nur grandios! Durchaus möglich, dass sich "The Surprising" zu einem meiner Lieblingssongs von DP mausert.

      Bei "Johnny's Band" hatte Don offenbar besonders stark seine Finger im Spiel, denn der Song erinnert mich streckenweise an Colosseum (immerhin hat er vor vielen Jahren mit Jon Hiseman zusammengespielt). Und Colosseum, das heißt Tempo, Tempo, Tempo! Wenn ich noch jung wäre, könnte ich diesen Song ideal zum Tanzen nutzen.

      "On Top of the World" enthält eine echte Premiere (ja, das gibt's auch nach einer 49 jährigen Bandgeschichte noch): Sprechgesang von Ian Gillan, psychedelisch unterlegt. Der humorige Text rechtfertigt diesen Einschub, der sonst nicht unbedingt zu dem gehört, was meiner Seele gerade noch gefehlt hat. Drumrum haben wir es mit sehr solidem R & B zu tun. Roger und Paicey beweisen einmal mehr, dass sie die beste Rhythmus-Abteilung der Welt bilden.

      Noch einmal back to the roots: Bei "Birds of Prey" werden wir wie im Traum in die 60er Jahre zurückversetzt. Bands wie die Beatles, die Small Faces, Herd, Who und andere schauen mal eben vorbei. All das eingewoben in wieder einmal vorzüglicher Rhythmus-Arbeit und Steves großartigem Gitarrenspiel.

      Schon wiederholt habe ich gelesen und gehört, dass "Roadhouse Blues" besser nicht ins Album aufgenommen worden wäre. Stilistisch fällt der Song tatsächlich aus dem Rahmen, aber so, wie er hier gespielt wird, ist er ein höchst wertvoller Bestandteil. Blues ist ein Musikstil, den man nicht vom Blatt singen und spielen kann. Entweder man hat ihn im Blut oder man lässt es. Ian Gillan hat den Blues seit früher Jugend im Blut. Schon lange bin ich der Meinung, dass seine Stimme hier zu sich selbst kommt. Schon deshalb finde ich diesen Song sehr schön. Hinzu kommt noch, dass die Instrumentalisten durch ihre DP-adäquate Spielweise dem Song ein wenig die Düsternis nehmen, die er bei den Doors hatte, und die nur Jim Morrison adäquat in Schönheit umsetzen konnte.

      Fazit: Auf ihre alten Tage ist Deep Purple noch einmal ein ganz großer Wurf gelungen, soweit ich es beim derzeitigen Stand meiner Aneignung überhaupt sagen kann.
      Rock on! nainallig :sound: :ty-sh:

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