Interview mit Joe Satriani

      Interview mit Joe Satriani

      Ein Interview mit Joe Satriani über seine Leidenschaft für die Malerei (gefunden im Spiegel)



      "Er gilt als einer der besten Gitarristen der Welt – nun erschafft Joe Satriani auch Gemälde. Ein Gespräch über Chaos als Begleiter und die Frage, ob Kunst wirklich von Können kommt.




      SPIEGEL: Herr Satriani, in der Musik sind Sie ein Profi. In der Malerei dilettieren Sie eher, oder?

      Satriani: Na ja. Ich male seit meiner Kindheit. Ich bin das jüngste von fünf Kindern, meine beiden älteren Schwestern sind Künstlerinnen, ich bin mit einer Künstlerin verheiratet, mein Sohn hat einen Abschluss in Kunst. Ich bin also umgeben von Material. Leinwände, Pinsel, Farbe, alles.

      SPIEGEL: Das macht noch keinen Künstler.

      Satriani: Vor ein paar Jahren bat ich meine Frau Rubina, mir beizubringen, mich auf der Leinwand auszudrücken. Ich meine, ich habe schon vorher digitale Kunst gemacht, mal ein Plektrum gestaltet, eine Gitarre oder ein Cover. Irgendwann wollte ich mir aber gern richtig die Finger schmutzig machen. Digitale Kunst ist cool. Es bedeutet aber, den ganzen Tag vor einem Bildschirm zu hocken.

      Joe Satriani, 65, gilt unter Fachleuten als einer der technisch besten Gitarristen der Welt. Er hat bei Deep Purple gespielt, zu seinen Schülern zählen unter anderen Kirk Hammett (Metallica), Tom Morello (Rage Against The Machine) und Steve Vai. Mit der Malerei hat er sich ein zweites künstlerisches Standbein aufgebaut.

      SPIEGEL: Womit haben Sie angefangen?

      Satriani: Ich verehre Modigliani. Seine Menschen wirken verzerrt, haben aber so viel Leben in sich. Was er malt, wirkt auf mich kindlich und zugleich professionell. So habe ich angefangen, wenn auch mit einem moderneren Ansatz. Ästhetisch komme ich eigentlich von der Graphic Novel, dem Comic …

      SPIEGEL: … und von der Gitarre.

      Satriani: Genau! Irgendwann habe ich das Digitale mit dem Organischen verbunden. Ich hatte LED an den Fingern, spielte Gitarre, und das wurde mit langer Belichtungszeit aufgenommen, sodass mein Spiel visualisiert wurde. Das brachte mich in Kontakt mit einer Galerie in Florida. Die haben dann 100 Bilder von mir bestellt, in Kommission. Seit zwei Jahren also bemale ich Gitarren und Leinwände und mache Musik und wünschte, der Tag hätte mehr Stunden.


      SPIEGEL: Ist der Kunstmarkt berechenbarer als die Musikindustrie?

      Satriani: Es ist alles so viel leichter! Musik schreibst du, nimmst sie auf, veröffentlichst sie. Und immer, wenn sie gespielt wird, bekommst du ein paar Cents. Neulich habe ich mich mit Steve Vai, der auch malt, darüber unterhalten. Es ist seltsam. Die letzten drei Jahrzehnte ging es für uns Musiker immer darum, die Urheberschaft für unsere Musik zurückzugewinnen. Und nun ist, was wir malen, für 18.000 oder 20.000 Dollar sofort weg. Dann wird es weiterverkauft und wieder verkauft, und du siehst davon gar nichts mehr, keinen Cent. Ganz egal, wo es hängt.

      SPIEGEL: Am Anfang haben Sie Gitarren bemalt. Warum sollte jemand eine Gitarre bemalen?

      Satriani: Das war ein Auftrag von Ibanez Guitars, da machen wir ganze Serien. Ich wollte auch immer mit einer besonderen Gitarre auf der Bühne stehen. Es heißt nicht ohne Grund Showbusiness. Mit dem Spielen habe ich begonnen, als ich 14 war. Aber ich hatte niemals eine Gitarre auseinandergebaut. Also komplett, bis zu den kleinsten Teilen. Das musste ich aber, um sie anmalen zu können. Eine kathartische Erfahrung. Außerdem hat es Spaß gemacht.

      »Wenn ich allein vor der Leinwand sitze, ist es manchmal, als stünde ich während einer Improvisation vor 20.000 Menschen auf der Bühne.«

      SPIEGEL: Und das hat Ihr Verhältnis zur Gitarre verändert?

      Satriani: Nicht unbedingt. Als ich jung war, gab es diesen Trend, bei dem Musiker ihre Gitarren auf der Bühne zertrümmert haben. Ich konnte das nicht sehen, ich hätte alles für eine solche Gitarre gegeben, hatte aber kein Geld. Bitte nicht kaputtmachen! Schenk sie lieber mir! Also habe ich immer gut auf meine Gitarren aufgepasst. Sie zu zerlegen und zu sehen, wie jedes Detail gefertigt ist, das war sogar superkarthatisch. Es braucht ein ganzes Dorf, um ein solches Instrument herzustellen.

      SPIEGEL. Malen Sie, wie Sie Gitarre spielen?

      Satriani: Sie werden lachen, aber so ist es. Wenn ich allein vor der Leinwand sitze, ist es manchmal, als stünde ich während einer Improvisation vor 20.000 Menschen auf der Bühne. Dann fühle ich mich lebendig, ganz bei mir selbst, konzentriert und stark. Vielleicht, weil eine Improvisation davon lebt, dass Unvorbereitetes passiert und ich darauf reagiere. Beim Malen geht mir das auch so. Was daran liegen könnte, dass ich nicht besonders erfahren bin.


      Satriani: Früher nie, da hatte ich Ruhe. Seit ich diese 100 Bilder liefern muss, brauche ich eine Umgebung, die mich zum Arbeiten anregt. Ich sollte hören, was gegenwärtig als akzeptabel gilt. Ich brauche aber die Gitarre. Also Black Sabbath, Rolling Stones, The Who, Jimi Hendrix, Led Zeppelin.

      SPIEGEL: Klassiker, aber auch wildes Zeug …

      Satriani: So muss es sein. Manchmal stehe ich vor einem Bild und frage mich, wie ich das schaffen konnte, dass es so sehr strahlt und leuchtet, zugleich so geheimnisvoll ist. Der Grund ist, dass man die Gefahr einladen muss, mitzumalen. Chaos. Beim Malen habe ich auch gelernt, dass ich nicht außergewöhnlich sein muss.

      SPIEGEL: Ach?

      Satriani: Ja, den Leuten ständig zu zeigen, was man alles kann – das macht man, wenn man sechs Jahre alt ist und seine Eltern beeindrucken will. In der Kunst sollte das keine Rolle spielen.

      SPIEGEL: Sondern?

      Satriani: Musiker machen Musik für Menschen. Das ist es, was wir tun. Wir drücken uns aus und teilen das, damit Menschen etwas haben, das sie durch die guten oder schlechten Zeiten in ihrem Leben begleitet. Dafür ist die ganze Theorie, die ganze Technik. Sie soll uns helfen, an diesen Punkt zu kommen, an dem die Kommunikation beginnt.

      SPIEGEL: Trotzdem muss man doch können, was man tut, oder?

      Satriani: Ich liebe Andy Warhol, Basquiat, Peter Max. Oder Robert Rauschenberg, Mark Rothko, der frühe Salvador Dalí. Sie konnten alle sehr gut zeichnen, sie beherrschten Anatomie und Perspektive, Realismus. Alles Dinge, von dem in ihren Werken nichts zu erkennen ist. Weil sie sich für einen anderen Weg entschieden haben.

      SPIEGEL: Sie selbst malen sehr bunt und abstrakt. Im Deutschen gibt es eine Redewendung: »Kunst kommt von Können«. Sie können keine Perspektive, keine Anatomie, keinen Realismus. Ist denn das Können nicht so etwas wie die Lizenz, einen eigenen Weg zu beschreiten?

      Satriani: Das ist eine wichtige Frage. Ich will Ihnen etwas Lustiges zeigen (steht auf und nimmt ein Papier von der Wand hinter dem Computer, ein hügeliges Aquarell in Grün). Das ist ein Bild, das mein Sohn gemalt hat, als er vier Jahre alt war. Warum liebe ich es so sehr, auch als Kunstfreund? Es geht darum, wer es gemacht hat, wann er es gemacht hat und was es bedeutet. Dagegen gibt es kein Argument.

      SPIEGEL: Ein Argument wäre, dass es ein Kinderbild ist.

      Satriani: Hier ist ein weiteres Bild (steht wieder auf, hält die Zeichnung einer Gitarre, auf der ein Vogel sitzt, in die Kamera), das hat Billy Gibbons von ZZ Top für mich gemalt. Es steht hier auf der Box, ich sehe es jeden Tag, weil ich es mag. Als Kunstfreund ist es mir egal, dass Gibbons ein Gitarrist ist und mein Sohn damals erst vier Jahre alt war. Wenn es zu dir spricht, spricht es zu dir. Kunst ist frei. Es gibt keine Regeln.

      SPIEGEL: Aber Sie sind ein Gitarrist, der alle Regeln kennt. So gut, dass Sie diese Regeln auch anderen Gitarristen beibringen. Man muss doch die Regeln kennen, um sie brechen zu können, oder?

      Satriani (nimmt seine Gitarre): Mit Steve Vai hatte ich mal ein Seminar. Ich bat ihn, einen mächtigen Akkord in E-Dur zu spielen, ungefähr so (spielt einen mächtigen Akkord in E-Dur). Und darüber spielte ich dann das hier (entlockt dem Instrument eine klägliche Einzelnote von enormer Erbärmlichkeit, pling). Sie lachen!

      SPIEGEL: Ich lache, ja.

      Satriani: In diesem Seminar lachten die Leute auch. Aber war das eine falsche Note? Was, wenn in einem Film zu monumentalen Aufnahmen zu einem Gebirge diese Note (pling) erklingen würde? Wäre das angemessen? Würde das bedeuten, dass etwas nicht stimmt? Ich habe keine Regel gebrochen damit. Ich habe etwas getan und darauf eine Reaktion bekommen. Auf diese Reaktion kommt es an. Nicht auf das, was ich getan habe. Das ist es, was ich allen meinen Schülern sage. Ich zeige euch was, aber das sind keine Regeln. Es kommt auf Ursache und Wirkung an. Es gibt keine Regeln. Es gibt nur Ursache und Wirkung."