Blackmore - The Last Waltz

      Blackmore - The Last Waltz

      Liebe Blackmorians,

      der Ort ist Schloß Eggersberg bei Regensburg, der Zeitpunkt ein Donnerstagabend im August 2007.

      Der Meister hält Hof, members only, und weil die BN-Plattenfirma den von weither eingeflogenen Mann rechtzeitig mit Engelszungen angepriesen hat, geht Carole Stevens sofort zur Charme-Offensive über: eine TV-Dokumentation, ihr Ritchie und ihre Candice exklusiv im deutschen Fernsehen? Das wäre allerdings mal was anderes als immer nur German Mittagsfernsehen oder “Die besten Sowiesos”, als dieses Playback-Gemime bei Andrea Kiewel oder Hugo Egon Balder.

      Der Bodyguard ist argwöhnisch, aber das ist bei solchen Leuten eine déformation professionelle, eine Berufskrankheit: Hey, komische Kappe, die du da trägst, Mann... (Soll heißen: Sieh dich vor!)

      Aber dann: Fanfaren, Herolde, im Wind flatternde Fahnen – die Majestäten lassen bitten.

      Der einzig besetzte Tisch im Schloßrestaurant ist der in der Ecke. Er ist noch nicht ganz abgeräumt, und sie sitzen einander auch nicht gegenüber, der sehr, sehr bekannte Mann und die auch schon recht bekannte Frau, sondern einträchtig nebeneinander: Ritchie ganz außen, mit dem Rücken zur Wand (a matter of self-defence), und Candice, amerikanisch strahlend, neugierig, zur offenen Tür blickend.

      Über das Kompliment, nicht nur das Gesicht, sondern auch die Augen von BN zu sein, freut sie sich, zumal der Besucher auch gleich eine Bezeichnung dafür mitbringt: New Renaissance, where did you get that?

      ER aber – nicht zum letzten Mal! - hebt zur Begrüßung ein wenig die Braue: We´re not fighting, are we?
      Stillschweigende Übereinkunft nennt man sowas.

      Die langen, spindeldürren Finger, die berühmten Flinkhuscher, mit denen ER seine fretboard fireworks zu veranstalten pflegte – jawohl: pflegte, denn seine Brillantfeuerwerke sind rar geworden -, sie also strecken sich dem Deutschen entgegen. Blackmores Händedruck ist amerikanisch fest, immerhin lebt er schon seit 1975 in den USA, aber sein Englisch ist noch immer bestes Chelsea, so very posh.

      Er trägt eine 7/8-Fjällräven-Bermuda in pensionistenbeige, Aldiletten und ein Langarm-Shirt, dieses natürlich schwarz. Aus dem Rundausschnitt baumeln die Bügel zweier Brillen: seine supergetönten ZDF-”Fernsehgarten”-Shades und eine ziemlich professorale Gleitsichtbrille – die Jahre, das Alter.

      Auf den Haaransatz schielt der Besucher nicht, zum einen, weil sich das nicht gehört, zum anderen, weil sowieso jeder weiß, was keiner wissen soll, worüber aber Bobby Rondinelli schon um die “Difficult to Cure”-Ära herum hämisch grinste.

      Wer ernsthaft eine Konversation mit Ritchie Blackmore anstrebt, geschäftlich oder privat, muß zuvor durchs mündliche Blackmore-Abitur. Wer es nämlich wagt und mit seinem Begehr daherkommt wie jedermann, wird auch behandelt wie jedermann: wie ein Dahergelaufener. Und so prasseln erstmal Fragen wie bei einem Verhör auf den Besucher ein, natürlich nicht im Ton und Jargon eines interrogation officers, sondern mit dieser weithin unbekannten, leisen, warmen Stimme, die nicht nur englisch-british-typisch jeweils am Satzende einen akzentuierenden Hopser nach oben macht, sondern auch steten Argwohn verrät: Bist du einer, oder bist du keiner?

      Warum der Besucher von Deutschland weggegangen sei, will Ritchie wissen. “Because of tax reasons?” Daß einer sein Land verläßt, weil die Medien dort nur aus Kubikarschlöchern bestehen, mag ja vorkommen. Aber für gewöhnlich passiert das wohl, weil die letzten drei Alben jeweils Goldstatus erhielten und die Royalties nun im siebenstelligen Bereich einrollen – oder weil man im Ölfördergeschäft zwar wenig mit Rockmusik zu tun hat, dafür umso mehr mit anderen, nicht minder interessanten Leuten. In beiden Fällen gilt: Wehe, wer den falschen Steuerberater oder einen Hang zum Heimweh hat!

      Die Steuer - nicht nur seine Bluesskalen, arabische Tonleitern sowie den Quintenzirkel vor- und rückwärts beherrscht dieser Mann, sogar die flat tax für Gastarbeiter im Land beziehungsweise Bundesstaat seines Besuchers weiß er sofort herzusagen. In diesem Moment wäre sein ehemaliger Mathe-Lehrer sicher sehr stolz auf ihn.

      Aber dann ist dieser Break vorbei, und dominant wie das Riff von “Burn” auf “Made In Europe” kommen seine Fragen, bitte anschnallen: Porsche – wieso verkaufen die soviele Autos, obwohl sie doch seit Umstellung auf wassergekühlte Motoren nicht mehr so reizvoll seien wie früher? Mercedes - was läuft bei denen falsch, daß die S-Klasse keine Spekulantenaufpreise mehr erzielt? Würdest du einen SL kaufen? Dieses ´Grüß Gott´- habe das was zu tun mit dem ´Ave Maria´ von Bach, und wie verhalte es sich eigentlich mit der Wendung ´...voll der Gnaden´? Überhaupt, wie ist das mit den Grußformeln im Deutschen, im Bayerischen? Und die Österreicher, was seien das denn für welche? Klatschten so ungern, säßen regelrecht auf ihren Händen, wie man letztens habe feststellen müssen, hm?

      Die Erklärung, daß die österreichischen BN-Fans dem Meister und der Meisterin keineswegs abhold seien, sondern ihre Verblüffung über die Spielfertigkeit ihrer Minstrels wohl eben durch ihre Passivität ausdrückten, mithin wohl schlichtweg baff gewesen seien, besänftigt das magische Power couple, das Eis schmilzt. Candice nimmt den Faden auf und leitet über zu einer Erörterung der jüngsten Magie-Messe in Kansas-City, was Ritchie nach einigen Minuten Zwangspause zu rigidem Dazwischengehen zwingt: “Where is this getting us to?”

      Ja, wo soll das hinführen, wenn der Chefsolist mal nicht solieren kann?
      Zum Glück ist das Zauberwort (!) ja auch schon gefallen, denn wer ´Kansas´ sagt, muß auch `Toto´ sagen, und der Besucher sagt´s und spielt damit an auf das Eröffnungszitat jeder gescheiten Rainbow-Show. Da ist aller Unmut vergessen, und auf einmal wogt es hin und her zwischen Rockstar und Besucher, ein kleines verbales Tischtennisspiel: “I have a feeling we´re not in Kansas anymore!” - “No, it was Hanoi!” - “You´re wrong, it´s still Acapulco!” - “No, if it wasn´t in Moscow, it´s Paris, what do you think?”

      Natürlich gebührt dem Gastgeber die Schlußpointe:
      “I have a feeling we´re not made from canvas anymore...”

      Candice guckt ratlos, Carole ebenfalls.
      Sorry, Ladies, das war laaange, lange vor eurer Zeit. Damals waren die Sänger noch italienisch-stämmig, die Drummer gestandene Rennfahrer und die Bassisten subjects to changes. Die Porsches röhrten noch luftgekühlt, und ein Mercedes war gebenzt, und nicht verschremmpt oder verchryslert, kurzum: Die Welt, wie wir sie kannten, war noch in Ordnung, und was der Lebenslügen mehr sind.

      Der Besucher knallt eine Bob-Dylan-DVD auf den Tisch, “Don´t Look Back”, die berühmte s/w-Dokumentation über Dylans Blitztour anno 1966 in England, gedreht von dem damals noch blutjungen D.A. Pennebaker. Jetzt funkelt´s im Grün von Blackmores Augen, he´s got Rainbow eyes. “I really do admire him. One of my favourites, absolutely.”

      Obwohl seine Sätze kurz und schnell kommen wie Ort und Datum im Jahressteuerabschluß, ist doch aus jedem Wort zu hören, daß stimmt, was er sagt: Dieser Tommy hier kann jenen Ami dort verdammt gut leiden, yes indeed. Mehr Gefühlsausbruch ist nicht. Still bloody british, after all these years.

      Eine Fernsehdoku in genau dieser Art, wenngleich natürlich in Farbe, versteht sich? Oh ja, eine solche Midnight Tunnel Vision findet Gnade vor den Augen des Herrn. Und drehen tun wie wo? Natürlich auf Long Island, im Heimstudio des Meisters, das noch nie eines Reporters Auge erblickte. Ritchie lockt und gurrt und reizt: Übrigens, deutsches Bier habe man natürlich auch zu bieten, “Poh-laa-ner” sogar - Paulaner wird ausgeschenkt in der “Dungeon” geheißenen Bar, im “Blackmore´s Inn”, welche im häuslichen Keller liegt, wo sonst, wie früher bei uns Deutschspießern die Hobbykeller. Des Besuchers schönstes “Child In Time”-Erlebnis fand genau in einem solchen statt.

      Und er, der Besucher, hat sein Pulver ja beileibe noch nicht verschossen. Donovan und Dylan – in Pennebakers Film treffen die damaligen Titanen des Folksongs aufeinander, und wisse Ritchie was? Donovan hatte 1965, im Jahr zuvor, seinen Hit “Catch The Wind”, aber bereits 1964 war Dylans “Chimes of Freedom” erschienen – wer da wohl von wem abgekupfert habe?

      Derlei musikalische Exkurse faszinieren den Meister. Er beginnt zu summen, versucht die beiden Melodien zusammenzukriegen, sie ambulant zu analysieren – where´s a guitar, when you need one?

      “You´re a musician, right? Guitarist?”
      Hellseherisch kommt diese Blackmore-Frage. Jetzt hat er seinen Pappenheimer durchschaut. Dessen Ausflucht, am Tisch mit einem wie IHM untersage ihm schon die Bescheidenheit, sich a) Musiker und b) Gitarrist zu nennen, wischt er grob beiseite.
      “What guitar have you got?”
      Fender ´95 American Stratocaster, VOX AC 30, no foot stompers.
      “Color?”
      Surf Green, inklusive Kopfplatte, war ´n Sondermodell.
      “There where better choices then...”

      Ich Idiot, soll der Besucher sich wohl denken, warum hast du seinerzeit keine Ritchie-Blackmore-Fender gekauft! Aber da staunt der Namensgeber: Sein erstes Signature-Modell kam erst viel später raus, 97/98. In Deutschland hat Fender wenig Tamtam dafür gemacht, also gibt´s auch kaum noch welche, weiß er das?
      “...!”

      In diesem Tempo und in dieser Art wogt das Gespräch, das eigentlich ein heimliches Kräftemessen ist, eine intellektuelle Röntgenuntersuchung, ein zeitgeistiger Datenabgleich von Schäuble´schen Ausmaßen: “Goldfinger! Erwarten Sie, daß ich rede?” -“Im Gegenteil, Mister Bond! Ich erwarte, daß Sie sterben!”

      Ritchie Blackmore - dieser Mann ist old school, sowas von altmodisch.
      Liebt Cary-Grant-Filme, stundenlang, ganze Nächte hindurch.
      Fleetwood Mac? Never ever!
      Blondie? Mochte er mal ganz gern.
      ABBA? Sowieso, aber nicht hier am Tisch, was sollen sie (die Damen) denken!
      Gut, dann erspare ich mir und uns die Reiznamen “Ian Gillan” und “David Coverdale”.

      Candice freut sich und lacht; raise your hats and your glasses, too.
      Auch Mama Carole ist entspannt: Was und wer dem ewigen Schwiegersohn gefällt, gefällt auch ihr. Noch ein Wasser?
      Aber ja!

      Erst als das Gespräch auf Rowan Atkinson, den “Mr. Bean” kommt, welcher vor und nach seiner sicher berühmtesten Rolle noch ganz andere, viel anspruchsvollere gespielt hat, zum Beispiel “Blackadder”, wird es dampfig am Tisch. Rauch steigt aus Ritchies Kopf, denn obwohl er Atkinson natürlich kennt (die Pythons liegen ihm mehr), hat er da Bildungslücken, most exasperating!

      “Who was that, Ritchie?”
      Schweigen..
      Candice, vermittelt der Besucher, vielleicht kennst du – kennt ihr – d i e Schlußszene aus der Episode “Blackadder Goes Forth”?

      Also: Atkinson und sein treudoofer Diener Baldrick liegen, als englische Soldaten verkleidet, im Artilleriefeuer des Ersten Weltkriegs (von 1914 – 1918 ), in einem verregneten Schützengraben, genau den verhaßten Deutschen gegenüber.
      Plötzlich – Stille. Nicht ein einziger Schuß fällt mehr.
      Baldrick springt auf und ruft:
      “Maybe the war is over! Maybe it´s peace!”
      Sein Captain zieht den fatalen Schluß: “Thank God! We lived through it! The Great War is over, the war of 1914 – 17!”
      Alle zugleich springen aus dem Graben, genau ins MG-Feuer des Feindes – freeze.

      Der verdammte Krieg dauerte bekanntlich noch ein Jährchen länger...

      Der ganze Tisch bebt vor Lachen.
      Der ganze Tisch?
      Nein. Ein gewisser Engländer bebt nicht. Er kann es nun mal nicht ab, wenn die Pointen von einem anderen als ihm abgeschossen werden, TV-Doku hin, Sympathien allerseits her. Als sich das Gelächter gelegt hat, sagt er, maliziös auf den Besucher deutend :
      “Maybe we should put h i m in front of the camera!”
      Candice protestiert: “But he´s so entertaining!”
      Doch Ritchie weiß es besser:
      “He thinks he is...”

      Liebe Blackmorians, das war (m)eine Woche bei Euch, hier in Snakebite´s Deepest Purple-Forum. Sieben Tage, sieben Beiträge, übrigens genausoviele wie “Made In Japan” Songs hat (die Extended versions/Jubi-Ausgaben zählen nicht). Thanks for having me, hat mir großen Spaß gemacht. Gerne hätte ich Euch auch was zu Bruce Springsteen, Mark Knopfler, David Gilmour oder John Fogerty schreiben können. (Daß ich ABBA nicht h a s s e, wißt Ihr ja schon). but these are different matters.

      Der ungeplante Kurzurlaub ist vorbei, der Ernst des Lebens ruft.
      “Ike”, der Hurrican über Texas, hat sich verzogen, morgen muß ich zurück, die Arbeit wartet. Wer von Euch jemals nach Galveston kommt, möge das dortige Ölbohr-Museum besuchen. Fragt nach dem Rock-Fox, und es wird Euch - hoffentlich - aufgetan. Wenn ich wieder mal nach Europa komme und Zeit und Muße habe, melde ich mich gerne wieder. In den Staaten fehlt mir dazu die Ruhe, deshalb herrscht an dieser Stille bereits wieder Funkstille.

      Mein Wunsch an Euch: Genießt die Erinnerungen an Purple & Co., aber kommt Eurer/unserer geliebten Sonne nicht zu nahe! Aus der Ferne wärmt sie wohl, aber aus der Nähe verbrennt sie.

      Sonnen können nicht anders.

      Es grüßt Euch herzlich

      Euer Rock-Fox


      P.S.: Der Page hier ist ein junger, aufgeschlossener Holländer, knapp zwanzig Lenze alt. Rainbow kennt er nach dieser Woche schon ganz gut, aber Deep Purple ist für ihn bloß “Smoke” und eine Horde alter Männer. Eure Homepage habe ich im Hotelcomputer frech auf “Favoriten” gesetzt, und weil Thijs sein Deutsch wohl noch bei Rudi Carrell gelernt hat, wird er im Forum klar kommen. Wenn er erst genug Purple gelernt hat, soll er purpurner Student werden, wäre das nicht “schen-scha-tschio-nell”?

      P.P.S.: Ach ja, aus der Doku ist, Ritchies (?) Entscheidung, leider nichts geworden. Laut Script sollte er darin kurz sein Signature Riff spielen. Sollte, noch nicht mal hätte-müssen. Aber schon das gefiel Carole nicht: Purple, phh!


      "You might be a rock ´n´roll addict, prancin´ on the stage, but you gotta serve somebody..." (Bob Dylan, Serve Somebody)
      "Encore one more time - for the ghosts of the past in your mind"

      RE: Blackmore - The Last Waltz

      Ich habe mich in den letzten Jahren selten so herrlich amüsiert, wie mit all den verschiedenen FOX-Beiträgen. Kurzweiilig, pointiert formuliert, treffender Beobachtungsgabe und mit einer gehörigen Portion Humor in gehobenem Stile.
      Dieses Buch verdient eine blinde Kaufempflehlung!!!

      P.S.: Ach ja, wo gibt es eigentlich dieses Buch zu kaufen?

      P.P.S.: Für Bestrebungen in Sachen Publikation kann man mich jederzeit ansprechen! Vielleicht ist dann ja mein Verlagshintergrund mal zu etwas nütze......
      Nun komm, Fox, das kann es nicht gewesen sein.

      Der letzte Song auf "Made In Japan" war der längste. So auch hier...

      Aber ich möchte nicht wieder 25 Jahre warten, bis die Zugaben auf der "remastered" erscheinen. Never ever.

      Wo ich doch nicht das Vergnügen hatte, bei den Konzerten live dabei zu sein.

      Fox,
      wir brauchen Dich hier - schon Deiner Rätselhaftigkeit wegen...

      Übrigens: Auch ich würde dieses Buch über den Mann in Black kaufen...

      Aber egal wie. Ein dickes :res: und ein ganz ehrliches :ty-sh:

      Kalle



      Sweet CHILD IN TIME....
      see the blind man shooting at the world...